Aus dem Wohncontainer in die ersten vier Wände

„LokalPlus hilft:“ Umzug nach Attendorn


  • Attendorn, 22.12.2017
  • Von Barbara Sander-Graetz
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LokalPlus hat beim Umzug von Ariya Habibullah geholfen. von Barbara Sander-Graetz
LokalPlus hat beim Umzug von Ariya Habibullah geholfen. © Barbara Sander-Graetz

Attendorn. Zur Vorweihnachtszeit gehört der Adventskalender: jeden Tag ein Türchen öffnen zur Einstimmung auf das frohe Fest. Eine liebgewordene Tradition, die wir in diesem Jahr zum Anlass nehmen, ebenfalls Türen zu öffnen und hinter die Kulissen zu schauen. Wir besuchen Einrichtungen und Vereine im Kreis Olpe, die sich um Menschen kümmern, sich sozial engagieren und vielleicht nicht immer so im Fokus stehen, wie sie es verdient hätten. Wir sprechen mit Menschen, lassen uns herumführen und helfen für ein paar Stunden mit. Hier lest ihr, was Barbara Sander-Graetz beim Umzug in Attendorn erlebt hat.


Es ist fast 15.30 Uhr, als ich an diesem Mittwochnachmittag Zimmer 14 im Rathaus betrete. Ich darf heute bei einem Umzug mit dabei sein und hinter die Kulissen schauen, wenn Ariya Habibullah aus Afghanistan seine erste eigene Wohnung bezieht. 

Als ich die Tür öffne, treffe ich zunächst auf Nadine Hamid. Die junge Frau ist neben Jana Geyer, Max Vogt und Johannes Feldmann eine von vier Bufdies (Bundesfreiwilligendienstler), die bei der Stadt im Bereich Flüchtlingsarbeit unterwegs sind. Nadine Hamid ist gebürtige Syrerin und aufgrund ihrer arabischen Sprache ein ganz besonderer Schatz. Die kommt auch gerade zum Einsatz. Sie diskutiert mit einem jungen Mann über die deutsche Mülltrennung und den Winterräumdienst bei Schneefall. Katrin Luers vom Amt für Soziales, Jugend, Familien und Senioren der Hansestadt Attendorn kennt das. „Mülltrennung ist ein großes Thema und das erklären wir immer wieder neu.“
Zwei Umzüge pro Woche
Zunächst gibt es aber einen Kaffee. Auf dem Tisch vor mir liegt ein Berg Schlüssel, im Schrank dahinter noch viel mehr. „Das sind alle Schlüssel der Unterkünfte im Stadtgebiet“, erklärt Michael Tump, der bei der Stadtverwaltung unter anderem für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig ist. Mit ihm und „Bufdie“ Max Vogt werde ich gleich unterwegs sein. Einen Umzug haben sie heute schon gemacht. Rund zwei Umzüge pro Woche stehen zurzeit an, und dauern bis zu vier Stunden.

Max Vogt erzählt mir später, dass dieser Job wohl sein Leben verändert hat. Nach dem Abitur hat er zunächst Geographie studiert. „Doch ich habe gemerkt, dass das nicht meins ist und habe nach einem Semester die Sache an den Nagel gehangen.“ Da man aber im März keine Ausbildung beginnen kann, hat er sich als „Bufdie“ bei der Stadt Attendorn beworben. „Die Arbeit macht mir richtig Spaß und daher habe ich mich um eine Ausbildung bei der Stadt als Verwaltungsfachangestellter beworben.“ Die Chancen für ihn stehen gut. 
 von Barbara Sander-Graetz
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Um kurz vor 16 Uhr fahren wir los: Es geht zu den Wohncontainern in Ennest. Hier wohnt Ariya Habibullah. Er kam im Februar 2016 nach Deutschland und sieben Monate später nach Attendorn. In Ennest hat er ein Zimmer, jetzt zieht er nach Attendorn. Zusammen mit seinem Freund Ali, ebenfalls aus Afghanistan, will er eine WG gründen. 48 Quadratmeter haben die beiden jungen Männer. Jeder hat sein eigenes Zimmer. Küche und Bad nutzen sie gemeinsam.

365 Flüchtlinge gibt es zurzeit in Attendorn. 664 könnte die Stadt unterbringen.  Manche sind anerkannte Asylbewerber, andere hoffen noch. Wieder andere wissen, dass sie irgendwann das Land verlassen müssen. Aber egal wie, die Stadt hilft, wie auch jetzt beim Umzug von Ariya Habibullah. „Die Container in Ennest sind als Unterkunft beliebt“, erzählt mir Michael Tump auf der Fahrt. „Das Ehrenamt ist hier ganz besonders engagiert und viele wollen gar nicht mehr hier weg. Nur eine eigenen Wohnung in Attendorn selber ist noch gefragter.“ Aber Wohnungen in Attendorn sind Mangelware. „Wir brauchen mehr Vermieter, die bereit sind, Familien aufzunehmen.“
Wo ist Ariya Habibullah?
Er selber war erst Ausbilder bei der Bundeswehr, dann beim Ordnungssamt der Stadt. Seit gut zwei Jahren ist er nun im Bereich „Flüchtlingshilfe“ eingesetzt. Er strahlt Autorität, Gelassenheit, aber auch Disziplin aus. Das ist in dem Job ein großer Vorteil. Bei der Frage nach wirklich kritischen Situationen in seinem Alltag muss er daher auch lange überlegen.

Als wir ankommen, ist Max Vogt schon mit dem zweiten Auto vor Ort, nur von Ariya Habibullah fehlt jede Spur. Michael Tump greift zum Handy und nach einigen Anrufen ist klar, Ariya Habibullah ist schon mit einem Lkw und einem Teil seines Hab und Guts vor der neuen Wohnung. Der 19-Jährige hat eine Arbeit bei KLB Laserschweißtechnik im Industriegebiet Ennest Askay und sein Kumpel Raman hat sich bereit erklärt, beim Umzug zu helfen.
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Aus dem Wohncontainer in die ersten vier Wände
Der Chef stellte ein Auto zur Verfügung und so haben die beiden jungen Männer schon mit dem Umzug begonnen. Wir fahren nach Attendorn. Ariya Habibullah und Kumpel Raman stehen vor der Tür. Den Schlüssel hat Michael Tump. Wir gehen in die erste Etage, wo die beiden Männer zukünftig leben werden. „Wir haben vorher noch hier gestrichen“, erklärt der 19-Jährige stolz.

Dann müssen die Möbel durch das enge Treppenhaus nach oben getragen werden. Ein Bett mit Matratze, ein Schrank, ein Tisch mit zwei Stühlen und bei Bedarf ein Kühlschrank, steht jedem Flüchtling als Grundausstattung zu. Bis auf den Kühlschrank, der hier schon in der Küchenzeile vorhanden ist, kann Ariya Habibullah seine Möbel mitnehmen. Ein Sofa, ein kleines Aquarium und einige Taschen kommen noch hinzu. Das Sofa passt so eben durchs Treppenhaus, beim Schrank hilft alles „Tetris“ spielen nicht. Er ist zu breit.
Keine Zeit zum Essen
Michael Tump überlegt kurz und macht Ariya Habibullah ein Angebot. Er bringt ihm morgen einen zerlegten Schrank, den er selber in der Wohnung zusammen bauen muss. Dafür nehmen sie diesen Schrank für eine andere Unterkunft wieder mit. Ein kurzes Nicken, Problem gelöst. Allerdings hat Ariya Habibullah nicht sein ganzes Hab und Gut in den Transporter bekommen. Also geht es nochmal zurück nach Ennest, um den Rest zu holen.

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Im Container riecht es nach Abendessen. Eine Frau bietet uns auch gleich etwas an. Doch langsam drängt die Zeit. „Wir haben heute ein Fahrzeug vom Bauhof und das sollte um halb sechs wieder auf dem Hof sein.“ Wir laden die restlichen Taschen und Möbel in die Autos.
Laufen ist keine Option
Dann erzählt Ariya Habibullah, dass er noch für morgen ein neues Fahrrad braucht, um zur Arbeit zu kommen. Seins ist kaputt. Michael Tump überlegt kurz. „Ja, es gibt noch eins im Lager, aber das kann erst morgen ausgegeben werden. Zu Fuß gehen ist für Ariya Habibullah keine Option. „Leih dir für morgen eins von einem anderen Bewohner, wir bringen dein kaputtes Rad zur Fahrradwerkstatt vom Förderband und morgen bekommst du ein Ersatzrad aus dem Lager.“

Michael Tump macht eine klare Ansage und die beginnende Diskussion ist im Keim erstickt. Das ausgeliehene Rad kommt ebenfalls ins Auto und ab nach Attendorn. Kumpel Raman hat schon vorher Feierabend gemacht. Dafür ist Ali, der zweite Teil der zukünftigen WG, vor Ort und packt mit an.
 von Barbara Sander-Graetz
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Danach geht es zum Bauhof um den Sprinter zurück zu bringen. „Ohne den Bauhof und deren oft unkomplizierten Hilfe wären wir manchmal ganz schön aufgeschmissen“, erzählt Michael Tump. Ein kurzer Plausch am Bauhof, dann geht es zurück zum Rathaus. Während mein Einsatz zu Ende ist, wartet auf Michael Tump und Max Vogt noch Büroarbeit. „Der Umzug war planbar, aber was morgen kommt, ist ungewiss. Unsere Arbeit ist wie ein Überraschungsei. Wir wissen nie, was kommt, denn wir arbeiten mit und für die Menschen, um ihnen zu helfen und sie zu unterstützen.“
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